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Robert entdeckte den abgebrochenen Pfahl von der Veranda aus. Er lehnte in einem seltsamen Winkel, halb eingegraben im aufgewühlten Boden, und eine Ranke hing hinter ihm her wie eine gerissene Sehne. Er ging langsam hinüber, und sein Herz sank. Ein schlammiger Abdruck von Turnschuhen markierte die Erde – ganz frisch. Jemand hatte sich wieder durchgeschnitten. Keine Entschuldigung. Keine Rücksicht.

Er hockte sich neben die zerquetschten Trauben und wischte den Dreck von einer zerrissenen Traube. Die Blätter waren verdreht, ein Stiel komplett abgetrennt. Das war nicht nur Abnutzung und Verschleiß. Es war unvorsichtig, gedankenlos – jemand behandelte seinen Weinberg wie einen öffentlichen Park. Er atmete aus, um sich zu beruhigen, aber sein Kiefer blieb verkrampft.

An diesem Abend stand er am Fenster, die Arme verschränkt, und sah zu, wie der Wind durch die Reihen strich. Der abgebrochene Pfahl lag immer noch da, wo er gefallen war. Er dachte daran, wie Marianne die Dinge immer sofort in Ordnung brachte, wie sie jeden Zentimeter des Hauses kannte. Er wünschte sich, nicht zum ersten Mal, dass er besser aufgepasst hätte.

Nach vier Jahrzehnten Lehrtätigkeit – die Hälfte davon in Klassenzimmern mit flackerndem Licht und dem Brummen alter Heizkörper – hatte er sich nach Ruhe gesehnt. Nach frischer Luft. Nach etwas Echtem, das er mit seinen Händen pflegen konnte. Etwas, das wuchs, weil er sich darum kümmerte.

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Also kaufte er einen Weinberg. Er war nicht groß. Nur ein bescheidenes Stück abfallender Erde mit Reihen alter Weinstöcke und knarrenden Spalieren. Seine Frau Marianne hatte sich zuerst in den Ort verliebt. Sie war zwischen den Reihen spazieren gegangen, hatte mit der Hand die Blätter gestreift und dabei gelächelt, als ob es sie an ihre Kindheit erinnerte.

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Das war es, was Robert überzeugte. Sie zogen zusammen und versprachen, den Weinberg als gemeinsamen Traum zu pflegen. Doch nur drei Jahre später verstarb Marianne. Eine stille Krankheit, die zu wenig Zeit ließ. Jetzt gab es nur noch Robert – und die Trauben.

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Er versuchte, alles selbst zu pflegen. Er schnitt und bewässerte die Rebstöcke, aber irgendetwas fühlte sich nie richtig an. Einige Pflanzen weigerten sich, zu wachsen. Andere wurden zu früh braun. Der Ertrag schrumpfte.

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Er führte in einem Spiralheft Buch, konnte aber immer noch kein Muster finden. Marianne hatte es einfach aussehen lassen. Er wünschte, er hätte damals mehr Fragen gestellt. Jeden Morgen ging er mit seinem Kaffee nach draußen und betrachtete den Weinberg.

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Seine Knie schmerzten in diesen Tagen mehr, und die Kälte biss ein wenig härter zu, aber das Land gab ihm immer noch einen Sinn. Er zupfte Unkraut, prüfte den Boden, ersetzte kaputte Pfähle. Es war meditativ. Sogar heilsam. Bis sich die Dinge zu ändern begannen.

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Es begann mit einem Geräusch – hämmernde, ferne Musik, Lastwagen auf der Schotterstraße jenseits des Hügels. Bauarbeiten. Robert hörte es wochenlang, bevor er das Endprodukt sah. Ein Luxusresort, versteckt hinter dem Hügelkamm. Glänzend, kantig, modern. Völlig fehl am Platz. Aber nah. Sehr nah.

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Zuerst machte es ihm nichts aus. “Das könnte die Immobilienwerte steigern”, murmelte er vor sich hin. Und vielleicht würde es das. Ein Boutique-Resort bedeutete Aufmerksamkeit, Pflege, lokale Geschäfte. Er dachte sogar, dass die Gäste vielleicht Wein kaufen würden. Er redete sich ein, es sei ein Fortschritt. Dann kamen die Fußabdrücke.

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Zuerst waren es nur ein oder zwei – ein zertrampelter Abschnitt zwischen den Rebstöcken, ein umgeknickter Pfosten, ein halb im Boden vergrabener Kaffeebecher aus Papier. Er runzelte die Stirn, säuberte sie und schob es auf die Kinder. Dann passierte es wieder. Und wieder.

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In der dritten Woche fühlte sich der Weinberg anders an. Touristen begannen, sein Grundstück wie eine Abkürzung zu einem Aussichtspunkt in der Nähe des hinteren Hügels zu nutzen. Sie überquerten die Reihen ohne Rücksicht, traten über Wurzeln und schleppten Taschen hinter sich her.

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Einige machten Selfies vor den Rebstöcken. Einer pflückte sogar ein paar Trauben, als wären es Wildblumen. Robert versuchte, ruhig zu bleiben. Er war kein Mann, der schnell wütend wird. Aber jedes Mal, wenn er einen abgebrochenen Ast entdeckte oder sah, wie ein Stock aus dem Spalier gezogen und zur Seite geworfen wurde, verkrampfte sich etwas in ihm.

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Er hatte hart daran gearbeitet, alles in Ordnung zu halten, auch wenn die Reben nicht perfekt waren. Eines Morgens stand er mit einer Gießkanne in der Hand da und starrte auf die Abdrücke, die er in der Erde hinterlassen hatte. Tief und unachtsam. Die Ranken auf beiden Seiten hingen herunter – gezerrt, vielleicht auch zertreten.

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Und schlimmer noch, es ging nicht mehr nur um die Pflanzen. Diese Rebstöcke waren Mariannes Lieblingsreihe gewesen. Robert kniete nieder und untersuchte die zertretene Erde. Der Pfahl war in zwei Hälften zerbrochen, und eine Ranke hing nun seitlich herunter wie ein gebrochenes Handgelenk.

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Er atmete tief durch die Nase ein und wischte sich den Staub von seiner Jeans. Es hatte etwas zutiefst Persönliches an sich. Nicht nur eine Beschädigung – es fühlte sich wie eine Verletzung an. Er versuchte es zuerst auf die höfliche Tour. Er druckte ein kleines Schild aus: “Privatbesitz – Bitte auf dem Weg bleiben”

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Er laminierte es, befestigte es an einem Pfahl und stellte es kurz hinter der äußeren Reihe auf, wo der Weg in seinen Weinberg überging. Es hielt zwei Tage lang. Er fand ihn seitlich verdreht im Dreck, einen frischen Schuhabdruck auf dem Papier.

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Aber anstatt sofort zum Ferienort zu fahren, gab er den Leuten einen Vertrauensvorschuss. Vielleicht wussten sie es nicht besser. Vielleicht, wenn er es einfach erklärte. Am nächsten Morgen entdeckte er eine Frau mit einem Sonnenhut, die mit dem Telefon in der Hand durch die Weinberge lief.

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“Ma’am”, rief er ihr freundlich zu, “dies ist Privatland. Bitte bleiben Sie auf dem markierten Weg.” Sie blinzelte, schaute von ihrem Telefon auf. “Oh! Es tut mir leid”, sagte sie und wich mit erhobenen Händen zurück. “Das habe ich nicht bemerkt. Ich werde zurückgehen.” Sie sah aufrichtig reumütig aus.

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Robert nickte. “Danke.” Am nächsten Tag entdeckte er einen jungen Mann, der zwischen den Reihen hockte, die Kamera an einem Gimbal befestigt. “Ist das Ihr Land?”, fragte der Mann und grinste. “Ja. Und ich würde es begrüßen, wenn Sie weitergehen würden. Dies ist keine Fotokulisse, sondern ein funktionierender Weinberg.”

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Der Mann stand auf und wischte sich den Schmutz von den Knien. “Warten Sie – kann ich schnell ein Foto mit Ihnen machen? So wie alte Schule auf neue Schule trifft?” Er war schon dabei, die Kamera zu heben. Robert drehte sich um und ging ohne ein Wort weg.

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Später in dieser Woche entdeckte er einen Teenager, der sich mit Ohrstöpseln zwischen den Spalieren duckte. Als Robert sich näherte, drehte sich der Junge um, sah ihn und sprintete wortlos davon, wobei er eine Reihe durchtrennte und dabei eine weitere Ranke abbrach. Das war’s.

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Er stapfte zurück zum Haus und murmelte etwas vor sich hin. Das waren keine harmlosen Wanderer. Sie waren keine Entdecker. Es waren berechtigte Fremde, die sein Land behandelten, als sei es Teil ihres Urlaubspakets. Als er zum ersten Mal hörte, dass das Resort in der Nähe gebaut werden sollte, hatte er Hoffnung geschöpft.

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Vielleicht würde es die Grundstückswerte erhöhen. Vielleicht würde jemand das Weingut eines Tages kaufen wollen, wenn er nicht mehr war – jemand, der es so liebte wie Marianne. Er hatte nicht damit gerechnet, dass es täglich zu Missachtung und zertrampelten Reihen führen würde.

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Am nächsten Tag, nachdem er weitere Fußabdrücke von der Veranda gefegt und einen weiteren zerbrochenen Pfosten repariert hatte, ging Robert zum Resort. Die Rezeption erstrahlte in sanften Beigetönen. Die junge Frau hinter dem Schalter schenkte ihm ein höfliches Lächeln, das ihre Augen nicht ganz erreichte.

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“Es tut mir leid, Sir. Wir bitten unsere Gäste, auf den markierten Wegen zu bleiben”, sagte sie mit einem geübten Neigen des Kopfes. “Aber wir können nicht kontrollieren, was sie tun, wenn sie auf eigene Faust unterwegs sind.” “Sie schneiden durch meinen Weinberg”, sagte Robert mit belegter Stimme. “Sie beschädigen die Ernte.”

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“Wir können es morgen in der Morgenbesprechung erwähnen”, bot sie an. “Das ist das Beste, was wir tun können.” Aber das war nicht genug. Die nächste Woche war noch schlimmer. Sie liefen nicht einfach durch – einige brachten Getränke mit und ließen Dosen zurück. Ein Paar baute eine Decke auf, als wäre es ein Picknickplatz.

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Eine andere Gruppe filmte einen Vlog und posierte zwischen den Reihen, während ein Mann einen falschen Monolog über eine Weinverkostung hielt. Robert beobachtete das Geschehen von der Veranda aus, wobei ihm mit jeder Sekunde der Mund enger wurde. Eines Nachmittags stellte er eine dreiköpfige Gruppe zur Rede – zwei sonnenverbrannte Männer und eine Frau in Sportkleidung.

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“Sie befinden sich auf einem Privatgrundstück”, sagte er und trat mit vorsichtigem Schritt vom Weg ab. Der größere Mann blinzelte. “Das gehört Ihnen nicht, stimmt’s?” “Doch, gehört es. Die ganze Strecke. Sie beschädigen die Rebstöcke.” “Wir tun gar nichts”, sagte die Frau und streifte ihre Leggings ab.

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“Das ist Hausfriedensbruch”, erwiderte Robert, jetzt mit härterer Stimme. “Entspann dich, Mann”, sagte der andere. “Es ist nur ein Weinberg.” Sie gingen lachend davon. Robert stand allein zwischen den Reben, die Stille drückte auf ihn wie ein dumpfer Schmerz.

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In dieser Nacht blätterte er bis spät in die Nacht in Mariannes alten Notizen und versuchte herauszufinden, was mit den Reben nicht stimmte – warum der Ertrag gesunken war. Er war sich nicht sicher, ob es an der Hitze, am Boden oder an seiner eigenen Unerfahrenheit lag.

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“Ich hätte mehr Fragen stellen sollen”, murmelte er im Dunkeln. “Ich hätte von ihr lernen sollen, als ich die Chance dazu hatte Am nächsten Morgen ging er durch die Reihen und blieb wie erstarrt stehen. Ein Dutzend frischer Fußabdrücke, eine abgeknickte Reihe und eine Rebe, die aussah, als wäre jemand darüber gestolpert.

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Die letzte Traube an diesem Zweig lag zerquetscht im Dreck. Robert kauerte daneben und starrte lange Zeit vor sich hin. Er hob die Trauben nicht auf. Er wischte die Erde nicht weg. Er sah einfach nur hin, der Atem blieb ihm im Hals stecken.

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Etwas in ihm erschlaffte. Er verlor nicht nur die Kontrolle über sein Land, sondern auch die Erinnerung an den einzigen Menschen, der es vollkommen geliebt hatte. Benommen wanderte er zurück zum Haus. Die Verandatür knarrte, als er eintrat.

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Er saß am Küchentisch, den Blick auf die Tasse kalten Tees gerichtet, die er nicht angerührt hatte. Die Wände waren immer noch in dem sanften Grün gestrichen, das Marianne ausgesucht hatte. Ihr Sonnenhut hing noch an der Hintertür. Ihre Stiefel standen in der Ecke, staubig, aber unberührt. Er ließ sie im Stich.

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All die Jahre hatte er ihr den Weinberg überlassen und ihn als ihr Hobby abgetan. Sie hatte ihn studiert, gehegt und gepflegt, etwas Schönes aus ihm gemacht. Und jetzt? Er sah zu, wie er unter seiner eigenen Inkompetenz zerbröckelte – und unter den unachtsamen Füßen der Touristen, denen es egal war, worauf sie traten, solange es auf Fotos gut aussah.

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Er zückte sein Handy und starrte es eine Minute lang an. Dann tippte er eine Nummer ein. “Peter”, sagte er, als die Leitung abgenommen wurde. “Ich muss dich etwas fragen.” Peter war ein alter Freund aus seiner Zeit als Lehrer – ein Kollege, der nach seiner Pensionierung Jura studiert hatte.

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“Ich möchte Anzeige erstatten”, sagte Robert mit leiser Stimme. “Oder etwas anzeigen. Gegen das Resort. Die Gäste. Gegen jeden. Sie sind unbefugt eingedrungen. Sie beschädigen mein Eigentum. Das kann nicht legal sein.” Peter seufzte am anderen Ende.

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“Sie haben nicht unrecht. Aber es ist nicht einfach. Selbst mit Schildern, selbst mit Beweisen – es wird ein Zivilprozess sein. Zivilrechtlich bedeutet langsam. Papierkram. Akteneinsichtsgebühren. Anhörungen. Im besten Fall bekommen Sie in acht Monaten einen Gerichtstermin. Wahrscheinlich eher ein Jahr.”

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“Ich kann nicht ein Jahr warten”, sagte Robert leise. “Nein. Und selbst wenn Sie es täten, wäre der Schadenersatz gering. Vielleicht ein paar hundert Dollar. Sie werden argumentieren, dass keine böse Absicht vorlag. Die Gäste wussten es nicht besser. Das Resort wird dem individuellen Verhalten die Schuld geben.”

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Robert antwortete nicht. “Auf diese Weise wirst du keine Gerechtigkeit bekommen, Rob”, sagte Peter sanft. “Nicht schnell genug. Nicht so, dass es aufhört.” Er legte auf, ohne sich zu verabschieden. Er ließ das Telefon einfach flach auf den Tisch neben der Tasse fallen.

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Er saß eine gefühlte Stunde lang da, während sich das Licht über den Boden bewegte und der Tag sich hinzog. Taffy bellte einmal im Hinterhof, dann war es still. Er dachte darüber nach, das Land zu verkaufen. Es zu veräußern. Aber bei dem Gedanken drehte sich ihm der Magen um.

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Und dann… schlich sich ein Gedanke ein. Sanft. Unheimlich. Auf leise Weise nützlich. Sein Blick wanderte zum Fenster des Schuppens. Dahinter stand der Wassertank. Der, den er seit Monaten nicht mehr angerührt hatte. Er diente dazu, eine Leitung mit kompostgetränktem Dünger direkt in das Bewässerungssystem zu leiten.

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Marianne hatte ihn sparsam verwendet – sie sagte immer, die Mischung sei zu stark. Zu stark, sogar. Aber in verdünnter Form wirkte er wahre Wunder. Sie hatte einmal gescherzt, dass allein der Geruch Schädlinge meilenweit verscheuchen konnte. Robert stand auf.

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Ging zur Hintertür hinaus. Er ging nicht schnell, aber mit jedem Schritt nahm die Idee mehr Gestalt an. Er schob die Schuppentür auf. Die Scharniere ächzten. Der Geruch schlug ihm zuerst entgegen – scharf, beißend, wie überreifer Müll und Rost. Er öffnete den Deckel des Tanks und zuckte zusammen. Abgestandenes Teichwasser. Verfaulte Blätter.

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Flüssigdünger, der so stark war, dass er sich in Schichten abgesetzt hatte. Und Ammoniak. Dickes, in der Kehle stechendes Ammoniak. Er starrte hinein, die Augen tränten. Dann, zum ersten Mal seit Tagen, lächelte er. Sie wollten durch seinen Weinberg spazieren, als wäre er ein Park?

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Nun gut. Sollen sie doch riechen, wie sie riechen. Er würde niemanden in eine Falle locken müssen. Er würde keine Konfrontation brauchen. Keine Schilder. Kein Geschrei. Nur Bewässerung. Nur ein bisschen Gartenarbeit. Einfach nur Wasser. Er würde das Gemisch durch die Druckpumpe leiten, so wie sie es in Trockenperioden immer getan hatten.

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Aber anstelle von reinem Wasser würde er den Inhalt des Tanks so weit verdünnen, dass er durch die Rohre fließt. Es würde den Reben nicht schaden – das würde er natürlich überprüfen. Aber es würde kleben. An den Schuhen. An Socken. An Hosen und Rucksäcken. Und Gott helfe denjenigen, die in Weiß kamen.

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Robert ging zurück ins Haus, krempelte seine Ärmel hoch und öffnete die Luke zum Pumpensystem. Er schnappte sich ein Paar Handschuhe, einen Siphonschlauch und ein altes Sieb, mit dem er einst Teichabfälle herausgefischt hatte. Das war kein Krieg. Es war Landwirtschaft. Eine kluge, saure und denkwürdige Landwirtschaft.

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Robert arbeitete den ganzen Abend hindurch und hörte erst auf, als das Licht so schwach wurde, dass er die Armaturen nicht mehr deutlich sehen konnte. Er testete den Durchfluss zunächst mit normalem Wasser – um sicherzugehen, dass die Ventile sich öffneten, die Düsen bei Bewegung auslösten und der Druck keine der älteren Rohre zum Platzen brachte. Alles hielt noch. Dann kam die Mischung.

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Er füllte den Tank mit einer Mischung aus Teichwasser, verdünntem Ammoniak und einem Spritzer von Mariannes altem Kompostkonzentrat. Der Geruch schlug ein wie eine Ohrfeige. Er war nicht giftig, aber er klebte. Er setzte sich im Stoff, im Haar und unter den Fingernägeln fest. Er testete es zuerst an einem alten Handschuh. Der Gestank blieb auch nach zwei Wäschen erhalten.

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Perfekt. Er leitete das System so um, dass es nur den äußeren Rand des Weinbergs erfasste – dort, wo sich der Weg verengte und sich die Touristen am häufigsten verirrten. Die Sensoren waren unauffällig, kaum sichtbar zwischen den Pfählen und Reben. Er hatte sie tief unter einem Blätterdach angebracht, so dass der Sprühnebel in einem feinen Bogen nach oben stieg.

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Dann wartete er. Die erste, die ankam, war eine Joggerin in schicker Sportkleidung und mit kabellosen Kopfhörern. Sie bewegte sich selbstbewusst und ignorierte das schwache Schild, das in der Hecke versteckt war. Als sie die Mulchgrenze überquerte, klickte der Sensor.

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Der Nebel traf ihre Beine, ihre Schuhe, ihren unteren Rücken. Sie blieb eiskalt stehen. Schaute sich um. Schnupperte. Ihr Gesicht verzog sich, und sie zog ihr Hemd vom Körper weg. Robert, der sie von der Veranda aus beobachtete, sah, wie sie zurück auf den Weg taumelte und einmal würgte, bevor sie davon sprintete.

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Der zweite war ein Mann in Cargo-Shorts mit einer DSLR um den Hals. Er bekam eine volle Dosis auf die Brust und die Arme. Robert sah zu, wie er fluchte, mit seinem Hut herumfuchtelte und versuchte, den Nebel zu vertreiben. Er stapfte zurück auf die Straße und murmelte etwas von “komischen chemischen Fallen”

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Am Ende der Woche zählte Robert ein Dutzend Besucher, die in dem Moment den Schwanz einzogen, als der mit Ammoniak versetzte Spray sie traf. Einige schrien. Eine Frau weinte. Aber die meisten rannten einfach davon – schnell, wütend und gedemütigt.

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Er fühlte sich nicht stolz. Nicht wirklich. Aber er fühlte sich… wirksam. Und seltsamerweise schien sich der Weinberg zu erholen. Vielleicht war es der Zeitpunkt. Oder das Wetter. Oder vielleicht hatte der schmutzige Dünger noch Leben in sich. Aber in der dritten Woche entdeckte Robert neues Wachstum in den östlichen Reihen. Die Reben, die zuvor verwelkt waren, hingen nun fester an den Pfählen.

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Die Trauben sahen fester aus. “Ich will verdammt sein”, murmelte er und bürstete ein Blatt zwischen seinen Fingern. “Das funktioniert tatsächlich.” Zum ersten Mal seit Monaten erlaubte er sich zu glauben, dass der Weinberg die Saison überleben könnte. Dann kam der Beeinflusser.

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Es war ein sonniger Nachmittag, und Robert beschnitt gerade niedrige Äste, als er die Stimme hörte – laut, geschliffen, unecht. “Hey Leute, wir haben gerade diesen bezaubernden kleinen Weinberg abseits des Hauptweges gefunden, und ich glaube, er wird sich für ein paar großartige Aufnahmen eignen – bleibt dran!”

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Er spähte durch die Reihen. Drei Leute. Einer hielt ein Ringlicht. Eine andere justierte eine Kamera. Die dritte – eine junge Frau mit übergroßer Sonnenbrille und breitkrempigem Hut – posierte gegen die Ranken, als wären sie eine Dekoration.

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Robert stand auf und machte sich auf den Weg nach vorne. “Hey!”, bellte er. “Sie haben hier nichts zu suchen!” Der Kameramann wich zurück. Die Frau drehte sich nicht einmal um. “Wir sind in zwei Minuten fertig”, sagte sie lässig. “Sie sollten dankbar sein – wir machen Ihr Haus bekannt.”

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Robert deutete auf den Mulchstreifen. “Das ist kein Weg. Das ist Privatland. Sie müssen gehen.” “Schimpfen Sie nicht mit mir”, schnauzte die Frau, die sich jetzt umdrehte. “Das werden Sie noch bereuen.” In diesem Moment kam der Nebel.

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Der Kameramann kreischte, stolperte zurück und ließ das Objektiv fallen. Die Frau taumelte und hielt sich das Gesicht. “Was ist das?! Was ist das für ein Geruch?!” “Das ist Dünger”, sagte Robert ohne Umschweife. “Für die Reben.” “Sie haben uns mit Chemikalien besprüht?!”, schrie sie. “Das ist Körperverletzung! Ich habe eine Allergie!”

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“Sie haben einen Sensor überfahren. Er bewässert die Pflanzen. Ihr wurdet nicht eingeladen.” “Ich habe das auf Video”, kreischte sie und zeigte auf das Telefon, das immer noch im Licht der Klingel rollte. “Ich werde das veröffentlichen. Du wirst ruiniert sein.” Robert antwortete nicht. Er wandte sich einfach wieder dem Haus zu, während der Stachel ihrer Worte ihn den Weg hinunter verfolgte.

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An diesem Abend rührte er sein Abendessen kaum an. Sein Magen knurrte. Was, wenn sie beliebt war? Was, wenn das Filmmaterial ihn grausam aussehen ließ? Er hatte niemanden angefasst, nicht geschrien und nicht gedroht – aber im Internet wird die Wahrheit oft durch Empörung ersetzt.

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Er schritt über eine Stunde lang auf der Veranda umher, Taffy hinter ihm herziehend. Jedes Knarren der Holzdielen unter seinen Stiefeln hörte sich nach Ärger an. Schließlich ging er zu Bett, aber der Schlaf fiel ihm nicht leicht. Seine Gedanken kreisten – Gerichtstermine, Geldstrafen, eine Schlagzeile, die ihn beschuldigte, “unschuldige Touristen zu besprühen”

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Er hatte gerade erst begonnen, den Weinberg zu retten. War er dabei, alles zu verlieren? Am Morgen hatte er immer noch nicht auf sein Telefon geschaut. Gegen 9 Uhr morgens summte es: “Du bist im Trend.” Robert blinzelte. Mit einem zögerlichen Finger tippte er auf den Link. Der Influencer hatte das Video gepostet. Das ganze Video. Der Hausfriedensbruch. Die Konfrontation. Das Spray.

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Aber das Internet hat nicht so reagiert, wie sie es erwartet hatte. Der wichtigste Kommentar: “Stell dir vor, du stürmst den Weinberg von jemandem, um Einfluss zu gewinnen, und dann weinst du, wenn du mit Komposttee besprüht wirst.” Ein anderer: “Dieser Mann ist ein Held. Gebt ihm eine Medaille. Oder einen Zaun.”

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Es kursierten bereits Memes – jemand hatte einen Alarmton “Eindringling entdeckt” über den Moment hinzugefügt, in dem der Nebel auftrat. Andere machten daraus eine Anleitung, wie man sein Land schützen kann, wenn höfliche Schilder versagen Unterstützung kam von Landwirten, Gärtnern und sogar von ein paar Umweltseiten, die seine “organische Abschreckungsstrategie” lobten

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Robert scrollte fassungslos. Derselbe Clip, der ihn wachhielt, war jetzt seine Verteidigung. Seine Bestätigung. Eine jüngere Version von ihm hätte vielleicht gefeiert, aber die ältere Version lehnte sich einfach zurück, atmete langsam aus und schüttelte den Kopf.

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Zum ersten Mal seit langer Zeit fühlte er sich gesehen – und zwar nicht, weil er dramatisch, schwierig oder altmodisch war. Nur weil er Recht hatte. Zwei Tage später rollte ein schwarzer Geländewagen mit Regierungskennzeichen langsam den Kiesweg hinauf.

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Robert stand von der Bank auf der Veranda auf und wischte sich die Hände an einem Handtuch ab. Er hatte die Hecken vor dem Haus geschnitten und versucht, nicht zu viel über die Welle der Aufmerksamkeit im Internet nachzudenken. Zwei uniformierte Beamte traten heraus – einer von der örtlichen Baubehörde, der andere von der städtischen Polizei.

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Aber ihr Gesichtsausdruck war nicht feindselig. Der ältere von ihnen kicherte sogar schon, als er sich näherte. “Sind Sie der Typ, der dem Influencer eine Kompostdusche verpasst hat?”, fragte er und rückte seine Sonnenbrille zurecht.

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Robert hob eine Augenbraue. “Wenn Sie hier sind, um sich zu beschweren, habe ich selbst auch eine ganze Menge Beschwerden, von denen Sie wissen sollten.” Der jüngere Beamte lächelte. “Wir sind nicht hier, um mit Ihnen zu schimpfen, Sir. Ehrlich gesagt, wir wünschten, mehr Leute würden Probleme so… effektiv angehen.”

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Der Beamte für die Zoneneinteilung trat vor. “Wir stellen heute ein paar neue Schilder auf. Metallschilder. Mit offiziellem Siegel. ‘Privatbesitz. Unbefugtes Betreten verboten. Zuwiderhandelnde können ins Gefängnis kommen.'” Robert blinzelte. “Ernsthaft?”

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Der ältere Mann nickte. “Ernsthaft. Das Video hat genug Aufsehen erregt, um uns endlich die Finanzierung zu sichern. Wir haben auch mit dem Resort gesprochen – sie errichten jetzt Barrieren am Rande des Weges. Keine faulen Umwege mehr durch eure Reben.”

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Einen Moment lang wusste Robert nicht, was er sagen sollte. Er blickte auf den Pfad, der endlich frei von Schmutz war, die Reben ungestört. “Ich mache nicht gerne Ärger”, sagte er. “Das haben Sie nicht”, antwortete der Offizier. “Sie haben geschützt, was Ihnen gehört. Das hätten wir schon früher tun sollen.”

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Sie gaben ihm eine Kopie der neuen örtlichen Verordnung und einen laminierten Ausdruck des offiziellen Warnschildes mit – bis das Metallschild eintraf. Als der Geländewagen davonrauschte, wandte sich Robert dem Weinberg zu.

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Das Sonnenlicht drang durch die Spaliere. Die Luft roch schwach nach Erde und grünen Blättern und nach etwas Altem, etwas Vertrautem. Er ging durch die Reihen und berührte jeden Weinstock sorgfältig. Und als er den Pfahl erreichte, an dem Mariannes Rosenstrauch wuchs, hielt er inne und kniete sich in die Erde, die jetzt nur noch seine eigenen Fußspuren aufwies.

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