Advertisement

Samantha stellte ihre Kaffeetasse auf dem Gartentisch ab und atmete die frische Morgenluft ein. Auf der anderen Seite des Rasens tummelte sich ihr geliebter Hase Pablo zwischen den Gänseblümchen und sprang spielerisch nach Schmetterlingen. Lächelnd nahm Samantha einen langsamen Schluck ihres Kaffees und genoss die Ruhe des sonnenbeschienenen Morgens.

Der Tag war perfekt – helle Sonne, eine leichte Brise, Vogelgezwitscher in den Bäumen. Samantha nahm ihr Handy in die Hand und scrollte träge durch ihre Nachrichten, als ein scharfes, schrilles Kreischen die Ruhe durchbrach. Mit stotterndem Herzen blickte sie schnell auf und entdeckte einen riesigen Adler, der hoch über ihr kreiste.

Der durchdringende Schrei rüttelte die Nachbarschaft auf. Türen öffneten sich, Nachbarn strömten auf ihre Veranden und reckten ihre Hälse in den Himmel. Samantha stand wie erstarrt, ein Knoten des Unbehagens zog sich in ihrer Brust zusammen. Sie wusste es noch nicht, aber dieser goldene Morgen war im Begriff, sich in einen Albtraum zu verwandeln, den sie nie vergessen würde.

Es war einer dieser ruhigen Samstagmorgen, an denen sich alles still anfühlte. Samantha war gerade aufgewacht, das Sonnenlicht fiel sanft auf die Gänseblümchen vor ihrem Fenster. Drinnen zerrte ihr Hase Pablo spielerisch an den Quasten des Vorhangs. Das brachte sie zum Lächeln. Zum ersten Mal fühlte sich nichts gehetzt an. Einfach… ruhig.

Advertisement
Advertisement

Sie hatte nicht immer so gelebt. Mit ihren achtunddreißig Jahren war Samantha als Anwältin in einem New Yorker Unternehmen mit Verträgen und Terminen überhäuft worden. Aber nachdem ihre Scheidung ihr den Boden unter den Füßen weggezogen hatte, verlor die Stadt ihren Glanz. Der Lärm, die Menschenmassen – all das wurde ihr zu viel.

Advertisement

Also ging sie weg. Ein überfülltes Auto und ein paar zu viele Erinnerungen später kam sie in einem ruhigen Vorort an. Das Haus, das sie kaufte, war alt und knarrend, aber auf eine müde Art und Weise charmant. Es fühlte sich an wie ein unbeschriebenes Blatt – und das brauchte sie auch dringend.

Advertisement
Advertisement

Beim Entrümpeln des alten Gartenschuppens bewegte sie einen Stapel staubiger Kisten und hörte ein leises Rascheln unter den Kisten. Neugierig hob sie eine Kiste weg – und da war es. Ein winziges weißes Kaninchen, mit großen Augen und zitternd, kaum größer als ihre Hand. Keine Mutter in Sicht, nur weiches Fell und Angst.

Advertisement

Der Instinkt gewann die Oberhand. Sie nahm das kleine Ding in die Arme und spürte, wie sein winziger Herzschlag gegen ihre Brust schlug. In dieser Nacht taufte sie ihn Pablo – nach einer Fernsehfigur, die sie zum Lachen brachte, als es ihr sonst kaum möglich war. Es war impulsiv. Aber irgendwie passte es.

Advertisement
Advertisement

Von diesem Tag an wurde Pablo der Mittelpunkt ihrer Welt. Sie hatte nicht erwartet, dass ein Kaninchen so schlau sein würde – es fand Routinen heraus, lernte, wo das Leckerli-Gefäß war, und reagierte sogar auf seinen Namen. Er war nicht nur liebenswert, sondern auch schlau, neugierig und voller Persönlichkeit. Sie war ganz hingerissen.

Advertisement

Zwei Jahre später war aus dem winzigen Kätzchen, das sie gefunden hatte, ein lebhafter, neugieriger kleiner Entdecker geworden. Er kannte die Knarren im Boden besser als sie und beanspruchte jeden warmen Sonnenfleck für sich. Samantha fragte sich oft: Hatte sie ihn gerettet oder hatte er sie gerettet?

Advertisement
Advertisement

An diesem Morgen saß sie mit einem Kaffee in der Hand auf der Hintertreppe und beobachtete ihn, wie er Schmetterlinge durch den Garten jagte. Das Licht fing sein Fell genau richtig ein. Einen Moment lang fühlte sich alles um sie herum – das Haus, der Garten, sogar die Stille – wie aus einem Guss an.

Advertisement

Sie lehnte sich zurück und ließ die Brise über ihr Gesicht streifen. Die Stadt, die ihr früher wie eine fremde Zwischenstation vorgekommen war, fühlte sich jetzt wie ein Zuhause an. Die Stille erschreckte sie nicht mehr. Sie gab ihr Halt. Die Vergangenheit existierte noch immer, sicher, aber sie brannte nicht mehr so wie früher.

Advertisement
Advertisement

Als sie Pablo beobachtete, wie er herumhüpfte und an den Blumen der Büsche knabberte, stieß sie einen zufriedenen Seufzer aus. Die Welt fühlte sich ausnahmsweise wieder sanft an, das leise Summen des Lebens um sie herum lullte sie in einen Frieden ein, von dem sie gar nicht wusste, dass sie sich noch danach sehnte.

Advertisement

Ohne Vorwarnung durchbrach ein hoher Schrei die Ruhe. Samantha richtete sich auf, der Kaffee schwappte an ihrem Handgelenk hinunter, während ihr das Herz bis zum Hals schlug. Die Fenster in der ganzen Straße öffneten sich. Die Nachbarn lehnten sich hinaus, scannten den Himmel und versuchten herauszufinden, was den friedlichen Morgen soeben gestört hatte.

Advertisement
Advertisement

Über den Dächern kreiste ein Adler in weiten, kraftvollen Bögen, seine Flügel warfen lange Schatten über die Höfe. Dann stürzte er mit einer raschen Bewegung in die Tiefe. Kaum hatte Samantha ihren Stuhl zurückgeschoben, da sah sie ihn auch schon – Pablo hob vom Boden ab, ein weißer Blitz, der schnell in den Himmel stieg.

Advertisement

Einen Moment lang konnte sie sich nicht bewegen. Pablo drehte sich im Griff des Adlers und trat um sich, sein kleiner Körper war der Kraft des Vogels hilflos ausgeliefert. Der Schock war zu plötzlich, zu grausam, um ihn zu verarbeiten. Ein verzweifelter Schrei brach aus ihrer Kehle und durchdrang die Luft, genau wie der Adler kurz zuvor.

Advertisement
Advertisement

Die Menschen kamen aus ihren Häusern, angelockt durch den Lärm. Die Nachbarn versammelten sich entlang der Einfahrten und Zäune, die Münder standen in fassungsloser Stille offen. Über ihnen stieg der Adler in die Höhe, Pablo baumelte noch immer an seinen Krallen. Keiner sagte ein Wort. Die Szene kam mir unmöglich vor – und doch war sie da.

Advertisement

Samantha stolperte rückwärts und klammerte sich an ihre Brust, als ob sie sich auf den Beinen halten könnte. Noch vor wenigen Minuten war Pablo durch den Garten gehüpft. Jetzt war er weg, verschwand in den Wolken. Das Ganze fühlte sich wie eine Halluzination an – zu seltsam, zu wild, um zu ihrem ruhigen Leben zu gehören.

Advertisement
Advertisement

“Was ist gerade passiert?”, fragte jemand leise und starrte immer noch in den Himmel. Ein anderer Nachbar schüttelte mit grimmigem Blick den Kopf. Niemand war überrascht, dass ein Adler ein Kaninchen geschnappt hatte – das war schließlich die Natur. Aber die Art und Weise, wie es geschah – so plötzlich, so nah am Haus -, ließ alle ziemlich verunsichert zurück.

Advertisement

Gerüchte zogen leise durch die Nachbarschaft, während Samantha regungslos auf ihrer Veranda stand. “Er war gerade hier”, flüsterte sie immer wieder, als ob das, wenn sie es oft genug sagte, das Geschehene rückgängig machen würde. Die Nachbarn sahen von ihren Einfahrten aus zu, die Augen weit aufgerissen vor Mitleid, und keiner wusste so recht, was er tun oder sagen sollte.

Advertisement
Advertisement

An diesem Nachmittag suchte sie das beste Foto von Pablo zusammen – das, auf dem er zwischen den Gänseblümchen hockte – und druckte mehrere Kopien aus. VERLORENES HÄNSCHEN. BELOHNUNG AUSGESETZT. Sie ging von Häuserblock zu Häuserblock, pinnte sie an Pfähle, heftete sie an Bäume, klebte sie an Schaufenster. Ihre Hände bewegten sich wie von selbst, als ob sie ein Drehbuch geschrieben hätte.

Advertisement

Im Lebensmittelladen warf jemand einen Blick auf das Plakat und schenkte ihr ein sanftes, mitfühlendes Lächeln. In der Bibliothek schüttelte ein Passant nur den Kopf und flüsterte: “So traurig” Die Leute stellten keine Fragen. Sie nahmen an, was geschehen war – und ihr Mitleid ließ Samantha sich nur noch hohler fühlen.

Advertisement
Advertisement

Als sie erschöpft und vom Wind verbrannt nach Hause kam, klappte sie ihren Laptop auf und schrieb einen Beitrag für die Facebook-Gruppe der Stadt. Sie schilderte alles – den Schrei, den Schatten, den weißen Blitz. Ihre Finger zögerten am Ende, bevor sie tippte: “Bitte lasst mich wissen, ob ihr irgendetwas gesehen habt.”

Advertisement

Der Beitrag erregte schnell Aufmerksamkeit. Die Kommentare überschlugen sich, voller Herzschmerz und Unglauben. “Es tut mir so leid.” “Das ist erschütternd.” “Die Natur ist manchmal grausam.” Dutzende von freundlichen Nachrichten trafen ein, aber sie waren alle wie Abschiedsgrüße. Nicht eine Person glaubte wirklich, dass Pablo noch da draußen war. Samantha las jedes Wort mit schwerer Brust.

Advertisement
Advertisement

Jemand schlug ihr vor, die Wildtierkontrolle anzurufen. Ein anderer postete einen Link zu einem Artikel über Raubvögel. Einige sagten: “Man kann nie wissen”, aber selbst diese Worte waren von Endgültigkeit geprägt. Sie versuchten, freundlich zu sein, aber jede Antwort zerstörte das bisschen Hoffnung, das sie noch hatte.

Advertisement

Trotzdem konnte sie sich nicht dazu durchringen, aufzuhören. Vielleicht ließ der Adler ihn fallen. Vielleicht hat er sich losgerissen. Vielleicht versteckte er sich irgendwo, verängstigt und frierend. Es war unwahrscheinlich – das wusste sie. Aber jedes Mal, wenn sie die Augen schloss, stellte sie sich vor, wie Pablo da draußen lebte und darauf wartete, dass sie ihn fand.

Advertisement
Advertisement

Inmitten der Flut von Beileidsbekundungen auf Facebook meldeten sich ein paar gute Samariter mit etwas anderem: Hilfsangeboten. Fremde. Einer sagte, er habe eine Drohne. Ein anderer bot Stiefel und eine Taschenlampe an. Samantha antwortete mit zittrigen Fingern und gab ihnen die Adresse des örtlichen Diners als Treffpunkt an.

Advertisement

Zu ihrer Überraschung tauchten die Leute auf. Sie waren zwar nur zu sechst, aber das reichte aus. Nachdem sie sich kurz vorgestellt hatten, standen sie alle um ein Telefon herum und scrollten gemeinsam durch die Facebook-Kommentare. Der deutlichste Hinweis kam von einem Jungen, der erwähnte, einen großen Vogel gesehen zu haben, der an den Feldern vorbei in Richtung Wald flog. Es war nicht viel, aber es war mehr, als sie hatten. Sie tauschten Blicke aus und waren sich einig, dass sie dort beginnen würden.

Advertisement
Advertisement

Das Gras auf den Feldern streifte ihre Beine, als sie weitergingen, die Taschenlampen flackerten vor ihnen. Samantha bewegte sich mit ihnen, ihr Atem war flach, ihre Augen tasteten jede Gestalt ab. Jedes Geräusch ließ ihr Herz zucken – ein knackender Zweig, ein flatternder Vogel. Pablo könnte in der Nähe sein. Oder auch nicht. Das Raten zermürbte sie mit jedem Schritt.

Advertisement

Der Wald fühlte sich schwerer an als der Himmel. Knorrige Wurzeln krallten sich in die Erde, und niedrige Äste kratzten an ihrer Haut. Samantha suchte weiter – unter den Büschen, hinter den Felsen, oben in den Bäumen. Schlamm verschmierte ihre Jeans. Ihre Hände brannten. Aber sie ging weiter, angetrieben von etwas, das hartnäckiger war als Hoffnung.

Advertisement
Advertisement

Sie verteilten sich, die Stimmen leise, und bewegten sich in vorsichtigen Schwüngen durch den Wald. Einige flüsterten Pablos Namen, andere schoben die Dornen mit ihren Stöcken beiseite. Samantha hatte mit Hinweisen gerechnet, mit Zeichen, mit etwas, dem sie folgen konnte. Aber da war nur dunkler Boden, schwere Luft und die nagende Stille, die sich nicht einstellen wollte.

Advertisement

Als die Dämmerung einsetzte, schlichen sich Zweifel ein. Einige murmelten etwas über die zunehmende Dunkelheit, andere tauschten Blicke aus, die alles sagten. Samantha vernahm die Worte – sie glaubten nicht, dass er gefunden werden würde. Jeder Kommentar schlug wie ein Riss im Glas ein und drückte stärker auf die zerbrechliche Kraft, die sie gerade noch zusammenhielt.

Advertisement
Advertisement

Als sie an diesem Abend zu ihrem Haus zurückkehrten, hatte die Suche nichts ergeben. Samantha brach auf den Stufen der Veranda zusammen, ihre Glieder waren schwer, ihr Geist hohl. Der Schmerz in ihrer Brust erinnerte sie an die schlimmsten Tage nach ihrer Scheidung. Selbst die tickende Uhr in ihrem Inneren klang, als würde sie sie verhöhnen.

Advertisement

Doch unter der Last der Erschöpfung drängte etwas in ihr zurück. Ihre Hartnäckigkeit als Anwältin kam zum Vorschein, und sie erinnerte sich daran, wie sie Fälle gewonnen hatte, bei denen alles gegen sie sprach. Sie weigerte sich, jetzt aufzugeben. Morgen würde sie es wieder versuchen. Sie würde länger suchen, tiefer graben und weitermachen, bis etwas nachgab.

Advertisement
Advertisement

Am nächsten Morgen stand sie mit neuer Entschlossenheit auf, die ihre Brust verhärtete. Seit Pablos Verschwinden waren über zwei Tage vergangen, und die Zeit arbeitete gegen sie. Wenn sie jetzt nicht handelte – klüger und schneller – könnte er ihr entgleiten. Das würde sie nicht zulassen. Nicht, solange sie noch Luft hatte.

Advertisement

Sie trat nach draußen in den kühlen Nebel und hoffte auf eine weitere Welle der Unterstützung. Aber nur zwei Menschen waren zurückgekehrt – vertraute Gesichter, die ruhig in der Nähe der Veranda warteten. Einer von ihnen hatte einen Tiertransporter dabei, der andere hielt sich an einer Leine fest, ihre Augen waren müde, aber freundlich. Die Welle der Freiwilligen von vorhin war geschrumpft. Die Hoffnung hatte sich offensichtlich abgenutzt.

Advertisement
Advertisement

Für eine kurze Sekunde schlichen sich Zweifel ein. Vielleicht hatten sie recht. Vielleicht war er weg. Aber Samantha schluckte die Angst hinunter, die sich in ihrer Kehle aufbaute, und richtete sich auf. Sie war nicht so weit gekommen, um wegzulaufen. Pablo hatte ihr Licht gegeben, als sie es brauchte. Jetzt würde sie den Gefallen erwidern.

Advertisement

Sie brauchte mehr als Entschlossenheit – sie brauchte eine Richtung. Sie holte ihr Handy heraus und scrollte durch die Nachrichten und Namen, bis ihr einer ins Auge fiel: ihr enger Freund, der ein paar Städte weiter wohnte. Sie wusste nicht, ob er überhaupt die Zeit haben würde, hierher zu kommen, aber einen Versuch war es wert. Sie brauchte so viel Hilfe, wie sie auftreiben konnte.

Advertisement
Advertisement

Sie zögerte nur eine Sekunde und tippte: “Alex, ich weiß, es ist viel verlangt. Aber ich brauche deine Hilfe. Pablo ist verschwunden – wir suchen den Wald ab. Wenn du kommen kannst …” Sie drückte auf Senden. Die Nachricht fühlte sich wie eine Bitte an, aber sie fühlte sich auch wie ihre letzte gute Karte an, die sie ausspielen konnte.

Advertisement

Die Zeit verging quälend langsam. Samantha saß wie erstarrt auf den Stufen der Veranda und hielt ihr Telefon so fest umklammert, dass es wehtat. Dann leuchtete der Bildschirm auf. Sie blinzelte, als sie die Antwort sah: “Ich habe es gehört. Ich bin schon dabei, meine Sachen zu holen. Ich werde bald da sein.” Ihr Atem stockte. Ihr Körper sackte in sich zusammen. Endlich kam jemand, der ihr helfen konnte.

Advertisement
Advertisement

Alex kam ein paar Stunden später, stieg aus seinem staubigen Pickup und trug einen Rucksack über einer Schulter. Die Stimmung kippte augenblicklich. Sogar die beiden Freiwilligen standen aufrechter. Samantha rannte auf ihn zu, um ihn zu begrüßen, und ihre Worte sprudelten nur so aus ihr heraus, erstickt vor Rührung. Allein sein Anblick verlieh ihr neue Kraft.

Advertisement

Samantha trommelte die kleine Gruppe zusammen und machte sich an die Planung. Sie googelten verschiedene Artikel über das Verhalten von Adlern und kamen zu dem Schluss, dass sie Pablo am ehesten in der Nähe der Felsen am anderen Ende des Waldes finden würden, da Adler normalerweise hoch oben nisten – auf Klippen oder hohen Bäumen.

Advertisement
Advertisement

In der Gruppe keimte ein Funke der Hoffnung auf. Endlich hatten sie eine Richtung – einen echten Weg nach vorn, statt ziellos zu suchen. Samantha rückte die Gurte ihres Rucksacks zurecht, und eine stille Entschlossenheit machte sich in ihrer Brust breit. Mit Alex und ihrer Gruppe von Freiwilligen an ihrer Seite machten sie sich auf den Weg zu den Klippen, die Herzen rasten, die Nerven lagen blank vor Dringlichkeit.

Advertisement

Als der Wald sich wieder um sie herum schloss, fühlte sich etwas anders an. Diesmal stolperte Samantha nicht in der Dunkelheit. Sie hatten ein Ziel, einen Grund, weiter vorwärts zu gehen. Es gab kein Rätselraten mehr – nur noch Entschlossenheit, die auf der Wahrheit beruhte, und den Unwillen, Pablo kampflos verschwinden zu lassen.

Advertisement
Advertisement

Sie gingen weiter, die Klippen immer noch vor ihnen verborgen. Samanthas Taschenlampe zitterte leicht in ihrem Griff. Ohne Vorwarnung begann ein schwerer Nebel von oben herab zu kriechen – dick und kalt, der sich um ihre Beine legte. Bald verwandelten sich sogar die nahen Bäume in Schatten. Alles vor ihnen verschwamm zu einer Unschärfe.

Advertisement

Innerhalb von Minuten verengte sich die Welt. Ihre Lichter drangen kaum noch durch den Nebel, und der Wald wurde zu einem Labyrinth aus wechselndem Grau. Samantha strengte ihre Augen an, aber die Formen vor ihr weigerten sich, fest zu stehen. Unbehagen wuchs in ihrem Bauch. Wenn Pablo irgendwo in der Nähe war, könnten sie direkt an ihm vorbeilaufen.

Advertisement
Advertisement

Die Gruppe begann zu stolpern – sie stolperten über Wurzeln, rutschten im nassen Unterholz aus. Samantha hörte jemanden vor Schmerz aufschreien. Blitzlichter zuckten verwirrt, Stimmen erhoben sich in Panik. Es fühlte sich an, als würde der Wald sie ganz verschlucken. Was als Mission begonnen hatte, löste sich um sie herum in Chaos auf.

Advertisement

Eine Stimme hinter ihr brummte: “Das ist Wahnsinn” Eine andere fügte hinzu: “Das ist sinnlos, das Kaninchen muss schon tot sein.” Die Worte trafen sie wie Schläge. Samantha antwortete nicht – sie konnte nicht. Sie biss sich fest auf die Zähne und schluckte den Stich des Herzens. Dennoch ging sie weiter, fest entschlossen, sich von ihren Zweifeln nicht aufhalten zu lassen.

Advertisement
Advertisement

Langsam schälten sich die Leute weg. Schweigend verschwanden die beiden Freiwilligen im Nebel und machten sich auf den Rückweg. Als Samantha nach vorne blickte, war außer Alex niemand mehr an ihrer Seite. Und doch ging sie weiter, die Beine schmerzten, die Lungen brannten. Sie konnte nicht aufgeben. Nicht, wenn Pablo sie noch brauchte. Nicht ohne einen Schlussstrich zu ziehen.

Advertisement

Als die Sonne sich durch den Nebel schob, lichteten sich die Bäume gerade so weit, dass eine sumpfige Senke im Waldboden sichtbar wurde – ein breiter, flacher Graben voller Schlamm und verworrenem Gestrüpp. Samantha blinzelte durch den Dunst. Dann fing ihre Taschenlampe einen weißen Lichtblitz ein, der durch den Dreck kaum sichtbar war.

Advertisement
Advertisement

Mit rasendem Herzen stolperte sie vorwärts, wobei ihre Stiefel in der nassen Erde quietschten, als sie den Rand des Grabens erreichte. Ihr Atem stockte. Ein Stück Fell – schlammgetränkt, verfilzt, unverkennbar weiß – lag halb vergraben im Schlamm. Der Boden um ihn herum war blutverschmiert. Sie sank auf die Knie, und das Gewicht der Hoffnung zerbrach mit einem Mal.

Advertisement

Ihr Körper erstarrte. Ihr Gehirn hatte Mühe zu verarbeiten, was sie sah, aber ihre Brust wusste es bereits. Ihre Arme zitterten, ihre Beine hielten sie kaum noch aufrecht. Ohne nachzudenken, liefen ihr die Tränen über die Wangen. Ein röchelnder Laut entkam ihren Lippen, irgendwo zwischen einem Schluchzen und einem Schrei.

Advertisement
Advertisement

Alex tauchte sofort neben ihr auf, sein Blick war angespannt und besorgt. “Nicht bewegen”, sagte er ruhig, aber bestimmt. Samantha hätte es nicht gekonnt, selbst wenn sie es versucht hätte. Sie saß wie erstarrt da und beobachtete, wie er sich vorsichtig den flachen Graben hinunter in Richtung der kleinen, reglosen Gestalt bewegte, die im Dreck lag.

Advertisement

Die Zeit schien stehen zu bleiben. Samanthas Nägel gruben sich in ihre Handflächen. Ihre Brust schmerzte, weil sie den Atem anhielt. Dann drehte sich Alex um und blickte zu ihr zurück. Erleichterung machte sich auf seinem Gesicht breit. “Es ist nicht Pablo”, sagte er sanft. “Es ist ein weißes Eichhörnchen.” Die Worte durchbrachen den Nebel wie Licht.

Advertisement
Advertisement

Erleichterung durchströmte sie so plötzlich, dass es sie fast umwarf. Es war nicht Pablo. Er war immer noch da draußen. Aber das Adrenalin, das sie aufrecht gehalten hatte, verflog mit einem Mal und ließ sie schwach werden. Samantha ließ sich auf einen nahe gelegenen Felsen sinken, das Gesicht in die Hände gestützt, überwältigt von allem auf einmal.

Advertisement

Die Tränen kamen in Wellen – tief, guttural, unaufhaltsam. Nebel klebte an ihrer Haut, aber das Zittern kam nicht von der Kälte. Ihre Gedanken kreisten um schmerzhafte Erinnerungen: ihre alte Wohnung in New York, die Stille nach der Scheidung, die langen Tage, die sie mit dem Wiederaufbau verbracht hatte – und jetzt dies, der Verlust von Pablo, ihrem letzten Faden des Friedens.

Advertisement
Advertisement

Schuldgefühle trafen sie wie ein Hammer. Wäre sie doch nur näher dran geblieben. Hätte sie nicht am Kaffee genippt, anstatt ihn zu beobachten. Hätte sie nur den Adler bemerkt und Pablo rechtzeitig ins Haus geholt. Jedes Detail spitzte sich zu einem weiteren Bedauern zu, das sich auf ihren Schultern stapelte, bis sie vor lauter Gewicht kaum noch atmen konnte.

Advertisement

Um sie herum verschwamm der Wald. Alex stand in der Nähe, unruhig und unsicher. Samantha saß zusammengerollt in sich selbst, die Trauer pulsierte in ihr wie ein zweiter Herzschlag. Eine kleine innere Stimme drängte sie, aufzuhören. Nach Hause zu gehen. Loszulassen. Vielleicht sollte es genau hier enden.

Advertisement
Advertisement

Dann kniete Alex vor ihr, standhaft und geerdet. Seine Hände ruhten auf ihren Schultern, seine Stimme war ruhig, aber schneidend durch den Nebel. “Sam, du kannst hier nicht stehen bleiben. Er ist deine Familie. Du bist schon zu weit gekommen. Du musst weitermachen – bis es nichts mehr zu versuchen gibt.” Seine Worte trafen sie tief.

Advertisement

Sie blickte auf, und der Atem blieb ihr in der Kehle stecken. Es tat immer noch weh – alles tat immer noch weh – aber Alex hatte Recht. Seine Stimme hatte Samanthas Hoffnungslosigkeit durchbrochen. Mit zitternden Fingern wischte sie sich über das Gesicht, holte zittrig Luft und erhob sich langsam. Nein, sie würde nicht zulassen, dass dies das Ende war. Noch nicht.

Advertisement
Advertisement

Gerade als Samantha aufstand, surrte ihr Telefon scharf gegen ihr Bein. Sie zog es heraus und rechnete mit weiteren leeren Antworten. Aber dieses Mal war es anders – ein neuer Kommentar war unter dem Beitrag erschienen. Jemand hatte eine Ansammlung von Adlerfedern gefunden. Dutzende von ihnen in der Nähe des alten, verlassenen Obstgartens.

Advertisement

Ihr stockte der Atem. Sie tippte auf das Bild. Über das trockene Gras verstreut lagen große, auffällige Federn – weiß und braun, klar wie der Tag. Ihre Brust zog sich zusammen. Die Obstplantage lag am Rande der Stadt. Sie drehte sich zu Alex um, die Augen weit aufgerissen, die Stimme zitterte vor Dringlichkeit. “Das könnte etwas sein”, flüsterte sie. “Eine echte Spur.”

Advertisement
Advertisement

Ohne zu warten, machten sie und Alex sich zügig auf den Weg zur Apfelplantage. Sie überquerten offene Felder und drängten auf die Obstplantage zu. Obwohl sich der Nebel gelichtet hatte, herrschte eine schwere Stille um sie herum. Es fühlte sich an, als ob sogar die Luft den Atem anhielt und auf das wartete, was als Nächstes kam.

Advertisement

Der Obstgarten erhob sich vor ihnen – knorrige, von Zeit und Wetter gebeugte Bäume, die von einer rissigen Steinmauer begrenzt wurden. Samantha kletterte hinüber, ohne langsamer zu werden. Alex folgte ihr, die Taschenlampen durchleuchteten die verwinkelten Reihen. Ihr Herz pochte, lauter als das Knirschen des Grases unter ihren Stiefeln. Irgendetwas zerrte sie vorwärts.

Advertisement
Advertisement

In der Nähe der zweiten Baumreihe entdeckte sie etwas Bleiches. Ihr Magen drehte sich um. Sie eilte vorwärts und ließ sich auf die Knie fallen. Ihre Finger berührten den Rand einer riesigen Feder – breit, schön und unverkennbar eine Adlerfeder. Sie starrte sie an und bekam kaum noch Luft. Dann winkte sie Alex herbei, und ein Funke flammte in ihrer Brust wieder auf.

Advertisement

Der Moment riss sie völlig aus dem Schlaf. Sie drehte sich auf der Stelle, die Taschenlampe zuckte durch die Äste und das Gestrüpp, suchte hoch und tief. Es musste mehr geben – mehr Federn, eine Spur, vielleicht sogar Pablo selbst. Ihr Blick huschte über die Bäume, hungrig nach jedem Zeichen, jeder Gestalt, die nicht dazugehörte.

Advertisement
Advertisement

Alex und Samantha bewegten sich schnell durch den Obstgarten, schlängelten sich zwischen den verdrehten Bäumen hindurch, während ihre Taschenlampen den Boden und die Äste über ihnen ableuchteten. Samanthas Atem kam in kurzen Stößen, ihre Brust war eng vor Erschöpfung und etwas noch Schärferem – Hoffnung. Tief in ihrem Inneren spürte sie es. Pablo war in der Nähe. Sie konnte nicht erklären, wie – sie wusste es einfach.

Advertisement

Ihr Licht fing etwas auf, und sie blieb mitten im Schritt stehen. Auf dem alten Schuppen breitete sich ein massives Nest auf dem durchhängenden Dach aus – eine unordentliche Festung aus Ästen, Stroh und abgebrochenen Zweigen. Es sah uralt aus, als hätte das Holz selbst es hervorgebracht. Samanthas Stimme überschlug sich. “Alex”, flüsterte sie und zeigte auf ihn. “Dort.”

Advertisement
Advertisement

Sie näherten sich gemeinsam, die Augen auf das Dach gerichtet. Der Schuppen ächzte unter dem Gewicht, hielt aber stand. Ohne zu zögern, trat Alex vor und suchte die Wände nach allem ab, was sich zum Klettern eignete. Samantha blieb zurück, atmete kaum, ihr Puls rauschte in ihren Ohren, während sich die Vorfreude in ihr zusammenzog.

Advertisement

Sie fanden sie – eine alte Holzleiter, verwittert, aber intakt, die an der Wand lehnte. Alex ergriff sie, prüfte ihre Stabilität und brachte sie dann herüber. Er lehnte sie vorsichtig gegen den Schuppen. Alles war so still, dass sogar die Bäume um sie herum den Atem angehalten zu haben schienen. Als er sich sicher war, begann Alex, die Leiter zu besteigen.

Advertisement
Advertisement

Die Leiter ächzte unter Alex’ Gewicht, jeder Schritt hallte vor Anspannung wider. Samantha hielt den Atem an, die Finger fest geballt. Langsam erreichte er die Spitze, lehnte sich über den Rand des Daches und verschwand aus dem Blickfeld. Samantha stand mit angehaltenem Atem da, ihr Herz hämmerte in ihrer Brust.

Advertisement

Ihr Blick blieb auf dem Dach haften. Der Obstgarten schien in der Zeit stillzustehen, selbst der Wind hielt den Atem an. Alex lehnte sich näher heran und spähte in die schattigen Tiefen des Nestes. Samanthas Herz pochte. Sie hatte das Gefühl, als könnte die Last des Augenblicks sie erdrücken.

Advertisement
Advertisement

Die Sekunden zogen sich unbarmherzig hin. Samantha stand starr da und versuchte, nicht aufzuschreien. Ihre Gedanken überschlugen sich: Was, wenn Pablo verletzt war? Was, wenn es bereits zu spät war? Sie drückte ihre Augen zu und schickte ein verzweifeltes Gebet in die Stille. Bitte lass es ihm gut gehen. Bitte lass ihn am Leben.

Advertisement

Dann kam die Stimme – zittrig, aber sicher: “Er ist es! Der Hase ist hier oben – es geht ihm gut!” Ein Keuchen durchzuckte Samantha. Sie stolperte vorwärts, Tränen stiegen ihr in die Augen. Auf dem Dach des Schuppens bewegte sich Pablos weiße Gestalt, die fröhlich an den Zweigen im Nest scharrte und sich der Panik, die er ausgelöst hatte, gar nicht bewusst war.

Advertisement
Advertisement

Ihre Knie gaben fast nach. Eine lange Sekunde lang konnte sie sich nicht bewegen – sie starrte nur fassungslos und zitternd. Entgegen jeder Warnung, jedem mitfühlenden Kommentar hatte sie weitergesucht. Man hatte ihr gesagt, es sei hoffnungslos, die Natur habe ihren Lauf genommen. Aber jetzt war er hier. Unverletzt. Unversehrt. Und immer noch ihr gehörend.

Advertisement

Alex sah auf Pablo in seinen Armen hinunter und schüttelte ungläubig den Kopf. “Ich kann nicht glauben, dass es ihm wirklich gut geht”, sagte er halb lachend. “Du hast ein stures kleines Kaninchen, Sam.” Dann wurde sein Ton weicher, nachdenklich. “Ich habe mal etwas gelesen – darüber, dass Adler sich ein Leben lang paaren. Wenn sie ihren Partner verlieren… trauern sie. Schwer.”

Advertisement
Advertisement

Er bewegte Pablo sanft in seinen Armen, bevor er fortfuhr. “Während sie trauern, lenken sie ihre Fürsorge manchmal in die falsche Richtung. Sie könnte Pablo mit einem ihrer eigenen Tiere verwechselt haben – einem hilflosen, schutzbedürftigen Wesen. Es ist selten, aber der Überlebensinstinkt macht seltsame Dinge, besonders wenn Trauer im Spiel ist.”

Advertisement

Samantha hörte die Erklärung kaum. Ihre Augen waren auf Pablo gerichtet, ihre Brust hob sich vor Erregung. Mit zitternden Armen streckte sie die Hand aus. Alex lächelte, als er ihr das Kaninchen sanft in die Arme legte. Pablo schmiegte sich sofort an ihren Hals und vibrierte mit einem tiefen, schnellen Schnurren, als ob nichts geschehen wäre.

Advertisement
Advertisement

Sie sank auf die Knie im feuchten Gras, umarmte ihn fest und Tränen liefen ihr über die Wangen. “Du lächerliches kleines Ding”, flüsterte sie, halb lachend durch ihr Schluchzen. “Du hast mir fast einen Herzinfarkt beschert.” Pablo kuschelte sich in ihre Jacke, seine weichen Pfoten ruhten an ihrem Handgelenk, und das leise Geräusch von klappernden Zähnen ließ ihn entspannen.

Advertisement

Die Nachricht von der seltsamen Rettung sprach sich schnell herum. Innerhalb weniger Tage sprach die ganze Stadt von der Geschichte eines Kaninchens, das von einem Adler adoptiert worden war. Samanthas Posteingang quoll über mit Nachrichten, Fotos und ungläubigen Blicken. Alle wollten wissen, wie Pablo überlebt hatte – und was für ein Adler ein Kaninchen aufziehen würde.

Advertisement
Advertisement

Eine Woche später zierte das Foto von Pablo die Titelseite der Lokalzeitung: “Kaninchen aus Adlernest gerettet – findet ungewöhnliche Familie” Samantha schnitt den Artikel aus, rahmte ihn ein und hängte ihn an die Küchentür. Jedes Mal, wenn sie daran vorbeiging, lächelte sie – Bablo war immer in der Nähe, hoppelte in der Sonne und war endlich zu Hause.

Advertisement